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Dezember 12, 2024
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Schletz ist anders – neue Studie in Nature

Maria Teschler-Nicola

Kürzlich wurde im Fachjournal Nature (Human Behaviour) die bislang umfangreichste genetische Studie über die Zusammensetzung frühneolithischer bäuerlicher Gesellschaften Mitteleuropas veröffentlicht. An der Arbeit, die neben den genetischen auch archäologische und anthropologische Forschungsergebnisse einschließt, waren Kolleg:innen der Universität Wien, der Harvard University (USA) sowie des aktuellen UBC-Projektteams aus dem Naturhistorischen Museum Wien und den Landessammlungen Niederösterreich beteiligt. Im Zentrum stand die Frage, wer die Menschen waren, die über den Balkan kommend vor rund 8.000 bis 7.500 Jahren die neue landwirtschaftliche Lebensweise großflächig nach Mitteleuropa brachten und wie diese Gruppe innerhalb von nur wenigen Generationen über das Donautal und die ungarischen Ebenen bis nach Westfrankreich und im Osten nach Polen, die Ukraine und das heutige Rumänien siedeln konnte. Unsere Forschungen konnten zeigen, dass es sich um eine teils eng verwandte, egalitär strukturierte Gruppe handelte, die kaum Unterschiede in Bezug auf Nahrung oder andere Ressourcen aufwiesen; dennoch war ihr Ende von Gewaltereignissen geprägt – auch im heutigen Niederösterreich. Dafür spricht die Vielzahl an tödlich verlaufenden Verletzungen, die an den aus der Schletzer Fundstelle geborgenen menschlichen Skelettüberresten festgestellt wurden. Da ähnliche Befunde mittlerweile auch aus anderen Regionen Europas vorliegen, werden diese Gewaltereignisse mit dem Verschwinden der Linearbandkeramischen Kultur in Verbindung gebracht. Als Auslöser dieser Krise werden unterschiedliche (sozioökonomische/klimatische?) Szenarien diskutiert.

Der Nature-Artikel stellt die Ergebnisse von Erbgut-Analysen vor, die an den Skelettüberresten von insgesamt 250 Menschen aus 31 Fundstätten (einschließlich 87 Genom-Analysen aus ostösterreichischen Fundkontexten) erfolgreich durchgeführt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Träger der Linearbandkeramik auch mit alteingesessenen Jäger-Sammlern vermischt hatten. Überdies wurden Verwandtschaftsbeziehungen aufgedeckt und gezeigt, dass sich die Vertreter der LBK rasch, innerhalb weniger Generationen, über Hunderte von Kilometern ausgebreitet haben. Entfernte Verwandte finden sich etwa in der Slowakei und in Westdeutschland, in Fundstellen, die mehr als 800 km voneinander entfernt sind. Aus den genomischen Daten ergaben sich überdies Hinweise darauf, dass Männer eher an ihrem angestammten Ort verblieben und dort auch begraben wurden, während Frauen häufiger ihren Wohnort wechselten. Die wohl interessanteste und überraschendste Erkenntnis dieser Erbgut-Analyse liegt für den Fundort Asparn vor: Hier konnten nur vergleichsweise wenige Verwandtschaftsbeziehungen identifizieren werden – lediglich zwischen 10 (mehrheitlich männlichen) Individuen (!). Komplexere familiäre Stammbäume – wie wir sie mittlerweile aus zahlreichen Gräberfeldanalysen kennen – waren nicht rekonstruierbar. Eine überraschende Erkenntnis, die vielleicht dem Defizit von Frauen im Asparner Kollektiv oder der Funktion der Siedlung als zentraler (Rückzugs)ort benachbarter Bevölkerungsgruppen im Kontext von Konfliktsituationen geschuldet sein könnte.

Pressespiegel (Auswahl)

Artikel
Pere Gelabert, Penny Bickle, Daniela Hofmann, Maria Teschler-Nicola et al. Social and genetic diversity in first farmers of central Europe. Nature Human Behaviour.

https://doi.org/10.1038/s41562-024-02034-z